Ein Beitrag von Dr. Heiko Suhr
Die Mennoniten sind eine evangelische Freikirche, deren Wurzeln in der Täuferbewegung liegen und deren Name sich vom friesischen Theologen Menno Simons (1496–1561) ableitet.1 Auch wenn die Mennoniten sowohl in der Geschichte als auch vor allem in der Gegenwart durchaus eine heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Ausprägungen – von liberal bis traditionalistisch – waren bzw. sind, gibt es zentrale Gemeinsamkeiten: die Bekenntnistaufe, die Gewaltfreiheit und die Gemeindeautonomie. Aus Sicht der Mennoniten war und ist der Hauptunterschied ihrer Freikirche zu den katholischen, lutherischen und calvinistischen Kirchen die rigorose Trennung der religiösen von der politischen Ordnung des jeweiligen Staates.

Die Mennoniten hatten von Anfang an enge Verbindungen nach Ostfriesland. Menno Simons als Namensgeber der Bewegung – 1537 zum Ältesten der Täufer ordiniert – lebte zwischen 1537 und 1546 in Ostfriesland und organisierte hier die Bildung erster Gemeinden aus ostfriesischen Täufern und niederländischen Glaubensflüchtlingen. In den folgenden Jahrhunderten blieben sie zwar eine kleine protestantische Minderheit, waren aber in allen Städten und Landgemeinden sichtbar, da sie gerade in den Städten das wirtschaftliche und kulturelle Leben prägten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte aber ein erster Rückgang der Mitgliederzahl der mennonitischen Gemeinden ein, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zuspitzte, sodass es in Emden nur noch knapp dreißig Mennoniten gab.2
In diese durchaus als Krise des Mennonitentums zu bezeichnende Phase hielt der mennonitische Emder Pastor Abraham Fast zwei Vorträge und eine Predigt, die auch in Druckform herausgegeben wurden. Das kleine Büchlein erschien im Jahr 1925 im Selbstverlag wohl in Emden und auf Wunsch verschiedener Vorstandsmitglieder der nordwestdeutschen Mennonitengemeinden (Emden, Leer, Norden, Gronau/Westfalen, Nordhorn), denen der Verfasser das Werk schließlich „in herzlicher Dankbarkeit“ gewidmet hat.
Im ersten Vortrag widmet sich Fast „unser[em] Erbe aus der Reformationszeit“ und beleuchtet dabei vor allem die Entstehung und den Namen des Täufertums (S. 3–15). Die Predigt hielt Fast am 18. Januar 1925, also genau vierhundert Jahre nach einem Beschluss des Rates der Stadt Zürich, die Taufe weiterhin innerhalb von acht Tagen nach Geburt durchführen zu müssen. Kurz zuvor hatten u.a. Zwingli und Vertreter des Täufertums darüber heftig debattiert, ob statt einer Säuglingstaufe auch eine Erwachsenentaufe zulässig sei, was die Täufer mit Verweis auf das Neue Testament – im Sinne ihrer Bekenntnistaufe, also freiwillig und aus individuell bezeugtem Glauben – befürworteten.3 In diesem Akt sieht Fast die Wurzeln auch der Mennoniten.
Im Folgenden zeichnet Fast die historische Entwicklung bis zu seiner Gegenwart nach und resümiert, der Weg zu „Toleranz, Demokratie, Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und der Völker, Sozialismus, Pazifismus und Völkerbund“ sei steinig und schwer gewesen. Diese Begriffe, von seiner Gegenwart geprägt, seien aber letztlich nichts anderes als „altes Täufergut im neuen Gewande“, sodass die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg eigentlich eine Erfüllung alter Träume und Ideale sein müsse, so Fast. Trotzdem stünden die heutigen Mennoniten der modernen „Verweltlichung der Religion“ fast „verständnislos“ gegenüber. Hierin ist durchaus eine Kritik Fasts an einem zu starken traditionalistischen mennonitischen Verständnis zu sehen und gleichzeitig die Hoffnung, sich gewissen Aspekten der neuen Weltordnung nach dem Ersten Weltkrieg zu öffnen, um das Mennonitentum aus der Krise zu führen.

Der zweite Vortrag stellt schließlich den Bezug zur aktuellen Lage des Jahres 1925 her und umreißt unter dem Titel „Unsere Aufgabe in der Gegenwart“ den Bedeutungsverlust der Freikirchen, der vom Vortragenden als „vergrabene[s] Talent“ charakterisiert wird (S. 16–25). Es seien seit Beginn der Reformation eine Vielzahl neuer Religionsgemeinschaften entstanden, die oft sehr klein geblieben seien. Nicht deren „Kleinheit“ sei ein Problem, sondern deren „Bedeutungslosigkeit“ (S. 17). Die Lösung liege darin, sich wieder daran zu erinnern, dass nicht der Staat für den Religionsunterricht verantwortlich sei, sondern die Kirchen selbst, auch um die Trennung von Staat und Kirche zu wahren (S. 18). Dazu müsse man sich modernen Wissenschaften öffnen, diese nicht als Widerspruch zur Kirchenlehre begreifen und sich schließlich auch dem modernen Wirtschaftsleben positiv gegenüberstellen (S. 23). Es gelte aber auch – hier fließen Fasts Erfahrungen des Ersten Weltkrieges ein – sich Klassenhass entgegenzustellen, für Pazifismus einzutreten (S. 24) und Freiheit zu fördern (S. 25). In Ergänzung zur ersten Predigt konkretisiert Fast hier nun nochmal seine Strategie zum Wiedererstarken der mennonitischen Gemeinden vor allem durch verstärkten Religionsunterricht für Kinder und ein deutliches Bekenntnis zur neuen demokratischen Weltordnung.
Abschließend findet sich Fasts Predigt „Der Geist des Mennonitentums“ abgedruckt (S. 26–32). Dieser Geist werde gespeist durch eine spezifische Art des „Ergriffenseins“ von Jesus, durch eine besondere Art „des Jagens nach der Vollkommenheit“ und durch die individuelle Art der „Einschätzung des eigenen Besitzes“ (S. 27). All dies werde umklammert, so Fast weiter, von der unbedingten Freiwilligkeit des Einzelnen zur religiösen Überzeugung, die daher frei zu sein habe von staatlichem oder „Bekenntniszwang“ (S. 30).

Die Inhalte dieses wichtigen Büchleins ergeben sich direkt aus der Biografie des Verfassers, die hier daher ausführlich gewürdigt werden soll. Abraham Fast wurde am 2. Januar 1886 in der Gemeinde Blumstein – nördlich vom Asowschen Meer gelegen – in der heutigen Ukraine geboren.4 Blumstein war Teil der Kolonie Molotschna (deutsch: Milchfluss), wohin deutschsprachige Mennoniten seit Ende des 18. Jahrhunderts aus dem westpreußischen Weichseldelta ausgewandert waren. 1905 zog Abraham Fast zum Besuch einer Predigerschule in die Schweiz um. Nach dem Erwerb seiner Hochschulreife studierte er zunächst in Basel. Dort lernte er u.a. Emil Händiges (1881–1965) kennen, den späteren Vorsitzenden der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (1933–1952). Dessen Schwester Luise wiederum sollte Fasts Ehefrau werden. 1912 legte Abraham Fast in Heidelberg sein Licentiaten-Examen mit einer Arbeit über die Willensfreiheit bei den Täufern ab. Mit seiner Ehefrau kehrte er schließlich in die Kolonie Molotschna zurück, wo er im Hauptort Halbstadt an einer höheren Töchterschule unterrichtete. Den Ausbruch des Ersten Weltkrieges erlebte er dann zufällig in Worms, wo er zivilinterniert und später als Betreuer russischer Kriegsgefangener eingesetzt wurde. Nach Kriegsende bot sich Fast schließlich die Möglichkeit, eine mennonitische Predigerstelle in Emden zu übernehmen, die als älteste Gemeinde im niederdeutschen Bereich galt. Die Emder Gemeinde war aber im 20. Jahrhundert sehr klein, sodass Fast sich durchaus als in einer Sackgasse steckend gefühlt haben könnte. Der Prediger nutzte aber die Chance, die das Durcheinander von Kriegsende und Revolution auch in Emden bedingten, und begann mit einem aktiven Bildungsangebot in den mennonitischen Kirchenräumen. So bot Fast Vorträge zu diversen Themen, die er oft sogar selbst hielt. Hierbei trafen sich nicht nur freireligiöse Emder, sondern insgesamt wichtige Teile des Emder Bürgertums. Entscheidend war aber, dass Fast auch politische Bildungsarbeit auf seine Agenda setzte und so wiederum viele Mennoniten in politische Ämter brachte; zeitweilig rekrutierte sich der Vorstand der Emder SPD nahezu ausschließlich aus mennonitischen Gemeindemitgliedern.5

Fasts Wirken in Emden hatte eine derartige Strahlkraft, dass er zunehmend auch in Nachbargemeinden aktiv wurde. Daraus entstand schließlich die „Konferenz der nordwestdeutschen Mennonitengemeinden“, zu der bis heute die Gemeinden in Emden, Leer, Norden und Gronau/Westfalen gehören. 1923 wurde Fast dann Pastor dieser Konferenz, verblieb dabei aber in seiner Heimatgemeinde Emden. 1957 trat Abraham Fast in den Ruhestand und verstarb schließlich am 15. September 1962 in seiner Wahlheimat Emden.6
Neben seinem praktischen Wirken veröffentlichte Fast eine ganze Reihe an kleineren Schriften und Aufsätzen zu den Mennoniten, die vor allem in den Mennonitischen Blättern – der ältesten Zeitschrift der deutschen Mennoniten – erschienen.7 Ferner gab er mennonitische Zeitschriften selbst heraus, so die „Freie Religion“ (1926–1929), das „Nachrichtenblatt für die Mitglieder und Freunde der Mennonitengemeinden in Emden, Leer, Nordhorn und Gronau“ (1929–1930) und den „Gemeindebrief der nordwestdeutschen Mennoniten“ (1948–1949) sowie die „Nachrichten für die nordwestdeutschen Mennonitengemeinden“ (1953–1957).
1962 veröffentlichte Abraham Fast anlässlich seiner Silberhochzeit sein persönlichstes Werk „Aus unserem Leben“.8 Das Buch trägt nicht nur autobiografische Züge und blickt allgemein auf sein berufliches Leben zurück, sondern ermöglicht auch Einblicke in Fasts eher kritische Haltung zum Nationalsozialismus.9 Ebenso enthalten sind einige Gelegenheitsgedichte Fasts, so zu Weihnachten 1930 oder zum 75. Geburtstag seiner Mutter 1938.

Der umfangreiche Nachlass von Abraham Fast wird heute in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden verwahrt,10 wo er von seiner Schwiegertochter ehrenamtlich erfasst worden ist.11 Trotzdem ist Abraham Fast heute nicht nur in Emden, sondern in ganz Ostfriesland nahezu in Vergessenheit geraten.
Dr. Heiko Suhr
(Red.: M.H.)
- Vgl. zu den Mennoniten allgemein Diether G. Lichdi, Die Mennoniten in Geschichte und Gegenwart. Von der Täuferbewegung zur weltweiten Freikirche, Weisenheim 2004; vgl. zu Menno Simons vor allem Christoph Bornhäuser, Leben und Lehre Menno Simons. Ein Kampf um das Fundament des Glaubens (etwa 1496–1561), Neukirchen-Vluyn 1973. [↩]
- Vgl. zu den Mennoniten in Ostfriesland zuletzt Verein für Heimatschutz und Heimatgeschichte (Hrsg.), Mennoniten in Ostfriesland, Leer [2016]. Vgl. auch https://www.mennlex.de/doku.php?id=loc:emden [09.01.2025]. [↩]
- Vgl. Rudolf Pfister, Quellen zum zürcherischen Täufertum, in Zwingliana. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus in der Schweiz und seiner Ausstrahlung 9, 1953, S. 525–530, online: https://doi.org/10.69871/88t22b81 [09.01.2025]. [↩]
- Vgl. zur Biografie von Fast vor allem Heinold Fast, [Art.] Abraham Fast, in: Martin Tielke (Hrsg.), Biographisches Lexikon für Ostfriesland, Bd. 2, Aurich 1997, S. 117–119. Ich danke darüber hinaus Dr. Klaas-Dieter Voß von der Johannes a Lasco Bibliothek Emden für weitere Details zum Leben Fasts. [↩]
- Vgl. Fast, [Art.] Abraham Fast, S. 118. [↩]
- Vgl. allgemein Ostfriesische Mennonitengemeinden der nordwestdeutschen Konferenz (Hrsg.), Die Mennoniten in Ostfriesland, Emden 2006, passim. [↩]
- Von zentraler Bedeutung ist wohl Fasts Aufsatz „Geschichte und Eigenart der Mennonitengemeinden in Ostfriesland und Münsterland“, der 1935 erschien. [↩]
- Abraham Fast, Aus unserem Leben. Aufzeichnungen zum Tage der goldenen Hochzeit von lic. theol. Abraham Fast, Pastor der Mennonitengemeinde zu Emden, und seiner Frau Luise, geb. Händiges, am 22. Mai 1962, [Emden] 1962. Das Exemplar der Landschaftsbibliothek ist ein Geschenk von Fasts Witwe Luise. [↩]
- So lautet ein Eintrag aus Fasts Kirchenbuch zur Jahreswende 1944/1945, das er in diesem Werk wieder abdruckte: „Warum gibt Hitler nun nicht endlich diesen Krieg auf, wo doch ein Sieg nicht mehr möglich ist?“ Vgl. Fast, Aus unserem Leben, S. 49. Sein Sohn Sigurd fiel 1943 in Sizilien. [↩]
- Johannes a Lasco Bibliothek Emden, Archiv, Fast, online: https://www.arcinsys.niedersachsen.de/arcinsys/llist?nodeid=g462469&page=1&reload=true&sorting=41 [07.01.2025]. [↩]
- Vgl. https://www.kultur-in-emden.de/2023/01/09/aufgabe-und-verpflichtung/ [07.01.2025]. [↩]
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Heiko Suhr (14. Januar 2025). Eine Stimme für die Mennoniten. Vor 100 Jahren befasste sich Abraham Fast mit der Krise der Glaubensgemeinschaft. Blog für ost-friesische Geschichte. Abgerufen am 16. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/132w0