Zwischen aufklärerischem Gartenbau und reformierter Kirche – Edzard Moritz zu Innhausen und Knyphausen im Spiegel seiner Leichenpredigt

Rede zur Gedächtnißfeier des verewigten Grafen E. M. zu Inn- und Knyphausen nebst einigen geschichtlichen Denkwürdigkeiten aus dem Leben Desselben, G. H. Leding, Norden, 1824

Ein Beitrag von Dr. Heiko Suhr

Leichenpredigten sind die in Druckform erschienenen Predigten eines Geistlichen bei einer kirchlichen Begräbnisfeier. Sie erlebten ihre Blütezeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert vor allem in protestantischen Gebieten und sind überwiegend für Adelige und das wohlhabende Bürgertum erschienen. Typisch ist oft ein vorangestelltes Porträt des Verstorbenen als Holz- bzw. später Kupferstich.¹ Ein Beispiel dafür – wenn auch in eher bescheidener Ausstattung und ohne Porträt – ist die gedruckte „Rede zur Gedächtnißfeyer“ auf Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausen.

Vor rund zweihundert Jahren – am 29. Januar 1824 – verstarb Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausen auf seinem Grafensitz in Lütetsburg. Er wurde am 10. März ebenda geboren und trat nach Abschluss seines 1764 begonnenen Studiums in Halle an der Saale als Offiziersanwärter in ein Königlich Preußisches Infanterie-Regiment in Frankfurt an der Oder ein. 1776 nahm Edzard Moritz seinen Abschied und zog auf das ihm von seinem Vater überlassene Gut Visquard, wodurch er Mitglied der Ritterschaft und der Landstände wurde. 1789 erbte Edzard Moritz den sog. Familienfideikommiss – also das auch im Erbfall nicht teilbare Vermögen inkl. Grundbesitz einer Familie – Lütetsburg.

Bekannt ist er vor allem für die radikale Umgestaltung des Lütetsburger Schlossparks, die er gleich nach dem Tod seines Bruders Georg Anton Wilhelm (1744–1789) umzusetzen begann und die 1813 vorläufig vollendet war. Er löste sich dabei von allen barocken Traditionen und schuf einen Landschaftsgarten nach englischem Vorbild mit auch chinesischen Einflüssen wie Wasserläufen und künstlichen Inseln. Auf solch einer Insel – der Insel der Seligen – wurde der Graf schließlich bestattet, ebenso wie nach ihm auch andere Angehörige seines Geschlechts.

Zu den zu dieser Zeit geschaffenen Elementen im neuen Schlossgarten gehören das 1797 fertiggestellte Teehaus, das als Tempel der Freundschaft bekannt ist und heute auch standesamtlich genutzt wird. Ein Bildnis im Inneren des kleinen Gebäudes erinnert an Johann Ludwig Ransleben, der – obwohl preußischer Finanzbeamter – die Leidenschaft für die moderne Gartenkultur mit Edzard Moritz teilte.² Weiterhin ließ der Bauherr mehrere Monumente in seinem Garten aufstellen, die an verstorbene Familienmitglieder erinnern, so eine 1793 auf der Insel der Seligen errichtete Steinpyramide. Im Jahr 1802 erfolgte der Bau einer hölzernen Norwegischen Kapelle, deren Kuppel das Lebensmotto ihres Erbauers trägt: „Natur und Tugend führen zu Gott“. Dieser fast metaphysische Spruch deutet die Geisteshaltung und den beinahe aufklärerischen Geist Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausens mehr als nur an. So bekommt der neue Schlosspark als künstliche Gartenlandschaft naturreligiöse Dimensionen.³ Ein sprechendes Beispiel ist die Bestattung Edzards erster Ehefrau, die 1793 früh verstorben war und auf der Insel der Seligen bestattet wurde. Der Witwer schrieb dazu in einem Brief, dass er nicht gezögert habe, „die geliebten Reste meiner entschlummerten Freundin dem Tempel der Natur“ zu übergeben.⁴

Als Präsident der Ostfriesischen Landstände (1777–1790 und nach 1815) prägte Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausen auch die ostfriesischen Geschicke weit über Lütetsburg hinaus. So geht die 1797 gefallene Entscheidung zur Einrichtung eines Seebades auf Norderney auch auf seinen Einfluss zurück. Gleichzeitig ließ er auf der Insel für sich eine Villa bauen.⁵ Noch heute erinnert dort die Knyphausenstraße an sein Wirken.

Über den Trauerredner selbst ist zunächst relativ wenig bekannt. Ausweislich des Titelblatts hat es sich dabei um G. H. Leding, Prediger der vereinigten Lütetsburger-Norder Reformierten Gemeinde, gehandelt. Gerhard(us) Heinrich (Hendrik) Leding wurde am 14. Februar 1788 in Visquard in der Krummhörn als Sohn des dortigen Predigers Hinderikus Bernardus Leding und seiner Frau Geertje geb. Renssen geboren.⁶ Nach einem Besuch der Lateinschule in Norden (1805–1807) und einem Studium an der Universität Groningen (1807–1810) fand Leding Anerkennung als Kandidat des reformierten Coetus der Prediger.⁷ Am 26. Dezember 1810 wurde er in Woltzeten in der Krummhörn zum Prediger berufen und am 17. Februar 1811 in sein Amt eingeführt. Dabei übernahm sein Vater – nach wie vor Prediger in Visquard – einen Teil der Predigt. ⁸ Am 6. Oktober 1812 heiratete er in Groningen die dort geborene Kaufmannstochter Susanna Elsborg und fand wohl nordöstlich von Groningen im Dörfchen Lutjegast (Gemeinde Grootegast) eine Anstellung als Prediger. Dort wurden dem Ehepaar zwischen 1813 und 1816 drei Kinder geboren.⁹ 1816 zog die Familie Leding nach Driever um, wo der Vater wiederum eine Anstellung als Prediger fand – die Einführung dort fand am 22. Dezember 1816 statt –, aber schon 1820 auf Wunsch Edzard Moritz’ – der die Familie Leding wohl schon aus Visquard gut kannte – nach Lütetsburg weiterzog und die reformierte Gemeinde Lütetsburg/Norden übernahm.¹⁰ In Driever und Norden sollte das Ehepaar sieben weitere Kinder bekommen. Gerhard Leding verstarb am 9. März 1832 in Norden.¹¹

Das 35 Seiten umfassende Bändchen wurde 1824 bei Johann Friedrich Schmidt gedruckt und gliedert sich in ein Vorwort und die eigentliche Trauerrede. Im Vorwort betont Leding bescheiden, „mehrere Verehrer des Verewigten“ hätten ihn um die Herausgabe der Rede gebeten, er habe den Verstorbenen zwar sicherlich nicht „vollkommen zweckmäßig“ beschrieben, aber auch aus Dank dafür, dass er ihn 1820 als Prediger nach Lütetsburg geholt habe, dem Druck zugestimmt. Das spricht durchaus für eine gewisse Unterordnung des Geistlichen unter die weltliche Herrschaft der Inn- und Knyphausens.

Leding beginnt seine Predigt mit den Klageliedern des Jeremias (V, Vers 16a–17), die das „unglückliche Schicksal seines Vaterlandes und seiner Mitbürger“ behandelten. Am Ende resümiere der Prophet, dass „die Krone unseres Hauptes […] abgefallen“ sei. Dieses Motiv zieht sich als Metapher durch die gesamte Predigt. So ähnlich fühle er sich jetzt durch den Tod des „verehrten“ Grafen zu Inn- und Knyphausen, so der Prediger weiter. In einem äußerst persönlichen Rückblick geht Leding auf die einzelnen Rollen des Grafen als Gatte, Vater, Verwandter und Dienstherr ein, die er alle „mit Verstand und Herz“ gleichermaßen ausgeübt habe.

Typisch für eine Leichenpredigt ist auch die direkte Ansprache der Hinterbliebenen. Leding wandte sich vor allem an die zweite Ehefrau – Gräfin Sophia Charlotte Hedwig von Holstein-Ledreborg –und lobt in diesem längeren Abschnitt in intimen Worten vor allem Graf Edzards Rolle als Ehemann, wenn er schreibt, dass „nichts Seinem Herzen wichtiger war, als Sie zu beglücken“. Der Prediger stellt weiter die zentrale Rolle der Kirche im Leben des Grafen heraus, der – „weit entfernt von jedem blinden Religionseifer“ – treuer Kirchgänger und auch finanzieller Wohltäter gewesen sei. Der Graf sei gar ein „wahrer Freund und Verehrer der göttlichen Religion“. In einem weiteren Abschnitt bezeichnet Leding den Grafen weiterhin als „Begünstiger, Wohlthäter, Vater“ und bringt damit nicht nur seine Hochachtung vor dem Verstorbenen, sondern wiederum auch seine Unterordnung zum Ausdruck. Die Leichenpredigt endet mit dem Wunsch, dass die Familie die Erinnerung an Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausen zu einer Hoffnung auf ein Wiedersehen in der Ewigkeit transformieren könne.

Seinem Stand entsprechend erschien neben der gedruckten Trauerrede auch ein langer Eintrag im Neuen Nekrolog der Deutschen, der vor allem die „wahre Frömmigkeit“ Graf Inn- und Knyphausens herausstellt und insgesamt dafür Sorge tragen will, das bisher „nicht weit über die Grenzen seines Gebietes hinausreichende“ Wirken des Verstorbenen „der Welt auch in ihren erweiterten Kreisen“ mitzuteilen. Auffallend ist, dass einige Textpassagen aus der „Gedächtnißfeyer“ übernommen worden sind, wie ein Gedicht des Predigers Gittermann.¹²

Dass Trauerreden auch als historische Quelle taugen, sei abschließend erwähnt. Biografisch interessant ist die Tatsache, dass Leding eine neunwöchige schwere Krankheit des Grafen erwähnt, die er aus eigenem Ansehen erlebt haben dürfte, die aber in der Literatur ansonsten weitgehend unerwähnt bleibt. Ebenso ist das Jahr des Studienbeginns abgesehen von den Matrikeln nur in dieser Quelle überliefert. Auffallend ist aber, dass diese biografischen Details in der eigentlichen Trauerrede nicht vorgekommen sind, sondern von Leding dem Predigttext durch Fußnoten beigefügt wurden.¹³ Bei der „Rede zur Gedächtnißfeyer“ handelt es sich auch insofern um einen Sonderfall, dass Prediger und Verstorbener sich ungewöhnlich nahe und in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zueinander standen, was wiederum als Spiegel für das Verhältnis von weltlicher Obrigkeit und reformierter Kirche in Ostfriesland zu interpretieren ist.

Die kleine, fast intime und sehr persönliche Leichenpredigt für Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausen verdient daher besondere Aufmerksamkeit und Wertschätzung nicht nur als familiäres Erinnerungsstück, sondern auch als historische Quelle.

Dr. Heiko Suhr
(Red.: M.H.)

1. Heike Düselder, [Art.] Leichenpredigt, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 7, Stuttgart/Weimar 2008, Sp. 821–823. [↩]
2. Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen 1825, S. 1372–1373; Johann Ludwig Ransleben, Einige Aufsätze für Freunde der Gärtnerei, Berlin 1811. [↩]
3. Vgl. dazu Wolfgang Kehn, Natur und Tugend führen zu Gott. Metaphysik und Moralphilosophie in der deutschen Gartenkunst der Spätaufklärung, in: Das Gartenamt 34, 1985, S. 77–82; Adrian von Buttlar, Das Grab im Garten. Zur naturreligiösen Deutung eines arkadischen Gartenmotivs, in: Heinke Wunderlich (Hrsg.), Landschaft und Landschaften im achtzehnten Jahrhundert. Beiträge des Kongresses der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts in Wolfenbüttel 1991, Heidelberg 1995, S. 79–119, hier 85–86. [↩]
4. Zitiert nach Buttlar, Das Grab im Garten, S. 117. [↩]
5. Vgl. zur Biografie vor allem Walter Deeters, [Art.] Edzard Moritz (Maurits) Freiherr und (seit 1816) Graf zu Innhausen und Knyphausen, in: Martin Tielke (Hrsg.), Biographisches Lexikon für Ostfriesland, Bd. 1, Aurich 1993, S. 203–204 und Udo von Alvensleben, Die Lütetsburger Chronik. Geschichte eines friesischen Häuptlingsgeschlechts, Göttingen 1988. Zur Lütetsburger Chronik und dessen Autor siehe auch: Paul Weßels, „Frauen wie Lady Macbeth“ – Udo von Alvensleben, das Hausbuch des Unico Manninga und die Lütetsburger Chronik, in: Blog für ost-friesische Geschichte, Februar 2022, https://ostfrhist.hypotheses.org/741 [28.08.2024]. [↩]
6. Ortssippenbuch Visquard, Nr. 1138; vgl. https://www.allegroningers.nl/zoeken-op-naam/deeds/9528253a-aaea-c184-e42f-0935bd86df3f?person=30f0be10-2edf-b295-5731-1744345d45b1 [31.07.2024]. [↩]
7. Album studiosorum Academiae Groninganae uitgegeven door het historisch genootschap te Groningen (1614–1914), Groningen 1915, S. 258: Immatrikulation am 19.09.1807: Gerhardus H. Leeding, Visquardo, Frisia Orientalis. Im selben Jahr werden neue eingeschriebene Studenten auch aus Pilsum, Oldersum, Leer und Aurich genannt. [↩]
8. Maandelijkschee Uittreksels of Boekzaal der Geleerde Wereld, Januar 1811, S. 110, 312. [↩]
9. 1813: Hendrik Bernard Leding, 1815: Rulof Johan Leding (noch im selben Jahr verstorben), 1816: Rulof Jan Leding; vgl. https://www.allegroningers.nl [30.07.2024]; vgl. zur Eheschließung auch Advertentieblad, bekendmakingen en onderscheidene berigten van Groningen, 25.09.1812, S. 7. [↩]
10. https://esklum.reformiert.de/drievers-pastoren-nach-der-reformation.html [30.07.2024]. [↩]
11. Ich danke Pastor Jürgen Hoogstraat für diverse Auskünfte zum Leben von Gerhard Leding. Drei Töchter Ledings wanderten 1846, 1847 und 1850 nach Amerika aus. [↩]
12. Neuer Nekrolog der Deutschen 1824, S. 242–251. [↩]
13. Dazu gehört auch eine vollständig abgedruckte Rede Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausens vor den Landständen vom 20.09.1819, die erstmals gedruckt erschienen war in der Auricher Zeitung. [↩]

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